Heimweh

KETSCH. „Wenn man dreimal am Tag Applaus bekommt für seine Arbeit, dann ist das einfach toll, mehr kann man in seinem Beruf wirklich nicht verlangen“, sagt Matthias Stieber. Der 46-Jährige ist nach der Grundschule in Ketsch und dem Besuch des Gauß-Gymnasiums in Hockenheim heute Informatikkaufmann, begeistert sich heute aber für etwas ganz anderes. Vor mittlerweile zehn Jahren hat Matthias Stieber sein Hobby zum Beruf gemacht und ist seitdem Stadt- und Schlossführer sowie Nachtwächter. Heute bietet der gebürtige Ketscher seine Touren in Heidelberg, Mannheim, Schwetzingen und Weinheim an. Irgendwann sei die Liebe zur Kurpfalz voll entflammt, sagt Stieber, der vorher dreizehn Jahre lang in Norddeutschland gelebt und gearbeitet hatte. Es könne wohl das Heimweh nach der Enderlegemeinde gewesen sein, das bei ihm das Interesse an lokaler Geschichte geweckt habe.

Heimweh als Auslöser

Seine Oma Klara Michelfelder habe viele Jahre den Lebensmittelladen an der Hockenheimer Straße betrieben, erzählt er aus der Familiengeschichte.

„Es war bestimmt Heimweh nach dem Menschenschlag von Ketsch“, erinnert sich der 46-Jährige, dass er während der Besuche bei den Eltern Heidemarie und Erich Stieber immer öfter feststellen musste, „dass mir in der Fremde etwas fehlt“.

So habe er schließlich Osnabrück den Rücken gekehrt und sei zu seiner Freundin und jetzigen Frau Claudia nach Weinheim gezogen. Vor zehn Jahren ist er mit ihr nach Ketsch zurückgekehrt. Nach der Ausbildung zum Stadtführer habe er diesen Job schließlich zu seinem neuen Beruf gemacht. „Es macht mir riesigen Spaß, anderen Menschen etwas zu vermitteln“, hat er diese Entscheidung nie bereut. Seine Frau Claudia habe ihn zu jeder Zeit unterstützt, betont Stieber.

Es ist viel Leidenschaft zu bemerken, wenn man sich mit dem 46-Jährigen über seine ungewöhnliche Profession unterhält: „Nur wenn die Leute zufrieden sind, bin ich es auch.“ Stieber hat unzählige Bücher gelesen, sich wissbegierig in die kurpfälzische Geschichte hinein gearbeitet. Wenn in Heidelberg am Neckarmünzplatz die Touristenbusse halten und er wieder eine Gruppe in Empfang nimmt, ist er voll in seinem Element. Dann geht es durch die Altstadt an der Universität vorbei, zur Heiliggeistkirche, über den Kornmarkt und den Karlsplatz zum Geburtshaus von Reichspräsident Friedrich Ebert und hinauf zum Schloss. Stieber erzählt dann über die Geschichte der Altstadt, hat dazu allerlei Anekdoten parat. In Weinheim bietet er spannende Themenführungen an, etwa über „die Wittelsbacher und die Hauptstadt der Pfälzer“, berichtet über die beiden Burgen und führt über den romantischen Marktplatz, in das Gerberviertel und durch die Parks. In Weinheim ist er auch Nachtwächter, ebenso wie in Mannheim.

In der Quadratestadt erzählt er Einheimischen und Touristen von der Stadtentwicklung, gibt Wissenswertes über die Barockzeit preis, schildert viel über den Rhein und die industrielle Revolution und den Wandel vom Fischer- und Bauerndorf zur Kurpfalzmetropole, vergisst nicht, das benachbarte Ludwigshafen und die Bankenstadt Mannheim zu erwähnen. Er kann von seinem Beruf, den er zweifellos mit großer Leidenschaft ausübt, leben. Klar, gibt er zu, in der Software-Branche könnte er mehr verdienen, „aber ich bin in schönen Städten unterwegs und den ganzen Tag an der frischen Luft, was will ich mehr“.

Noch nie zwei gleiche Sätze gesagt

Im Sommer kann es schon mal vorkommen, dass er morgens aus dem Haus geht und nach mehreren Führungen in Weinheim, Heidelberg oder Mannheim erst gegen Mitternacht nach Hause kommt. Und bei seinen Auftritten an den verschiedenen Orten habe er „keine zwei gleiche Sätze“ in seinen Vorträgen, betont er.

Für jede Stadt habe er ein anderes Kostüm. Und hat er noch nie etwas verwechselt? „Doch, einmal“, lacht er, da habe er sich in Weinheim am Marktplatz in der Heidelberger Altstadt gewähnt. Und was gefällt ihm so gut an Ketsch? „Das ist einfach meine Heimat“, sagt er lachend, „für die nächsten fünfzig Jahre mindestens soll das auch so bleiben“.

© Schwetzinger Zeitung, Donnerstag, 24. 01. 2013

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